Lieber Dr. Manfred Url,
rund 30 Jahre den gemeinsamen beruflichen Weg zu gehen, ist unglaublich. In den Anfangsjahren teilten wir uns sogar das Arbeitszimmer, später war ich im Vorzimmer zu Ihrem Büro. Für uns beide war es anfangs nicht ganz einfach. Sie haben 1975 die Nachfolge von Dr. Dietmar Müller angetreten und waren plötzlich mein Vorgesetzter, der ich schon 1 1/2 Jahre in der Klinik war. Im Rückblick erkenne ich, dass das für Sie eine unglückliche Konstellation war, die ich aber damals mit 27 Jahren nicht richtig eingeschätzt habe. Meinen Respekt vor ihrer Position und auch Ihrem Alter und meine zurückhaltende Loyalität haben Sie mir leider falsch ausgelegt. Viel später haben Sie sich beklagt, dass ich hinterm Berg halte in fachlichen Fragen. Wir haben uns aber schließlich zusammengerauft. Sie haben mir jede erdenkliche Freiheit in meiner Arbeit, deren Abfolge und Gestaltung gelassen. Das war schon ein großer Vertrauensvorschuss. Wo gehobelt, also gearbeitet wird, fallen Späne, passieren unausweichlich Fehler. Da sind Sie immer zu mir gestanden. Am Höhepunkt unserer gegenseitigen Krise, etwa Mitte 80, kam es für mich zu einem Schlüsselerlebnis. Eine Bekannte in Ihrem Wohnhaus erzählte mir, dass Sie mich in den höchsten Tönen gelobt haben. Ich fiel aus allen Wolken, weil ich damals glaubte, dass Sie wenig von mir halten. Jetzt aber wusste ich, dass das Gegenteil der Fall ist und von diesem Zeitpunkt an bemühte ich mich, diesen Ihren Erwartungen gerecht zu werden und ich kann mich seit damals auch an keine einzige Meinungsverschiedenheit mehr erinnern.
Ich weiß Ihre Leistungen für die Radioonkologie richtig ein zu schätzen. Im ersten gemeinsamen Jahr 1975 waren wir 8 Bedienstete (2 Ärzte, 2 Physiker, 3 RTAs, eine Schreibkraft) und offiziell nicht einmal eine Abteilung der großen Radiologie. Die Initialzündung kam mit Prof. Hermann Frommhold, der sich in den 10 Jahren bei uns zu einer international anerkannten Koryphäe entwickelte. Damit diese explosive Entwicklung, von den zitierten 8 auf über 50 Leuten, möglich war, haben gerade Sie eine ganz wichtige Rolle gespielt. Sie haben sich allein um die Anschaffung der Großgeräte und die dafür notwendigen vielen Umbauarbeiten gekümmert. Das war eine ganz große Stärke von Ihnen, dass sie wirklich impertinent lästig sein konnten gegenüber den wichtigen Firmen Siemens, Philips und Elekta, aber auch den ausführenden Baufirmen. Ich habe Sie immer bewundert, wie viel sie von Baumeistertätigkeiten verstehen. Letztlich waren wir alle die großen Nutznießer von Ihrer Umtriebigkeit. Ein Ausspruch, den ich von den eifersüchtigen Ärzten in den letzten Jahren immer wieder zu hören bekam: "Dieser Url hat für alle seine Physiker eigene Zimmer und wir müssen von einem Untersuchungszimmer zum anderen wechseln und haben nicht einmal einen eigenen Schreibtisch!" Braucht es noch eine Erklärung?
Von den großen Innovationen als Klinikphysiker darf ich eine exemplarisch detailliert darstellen, damit sie nicht in Vergessenheit gerät, weil gerade Sie in Ihrer Bescheidenheit nicht alles sofort auf die große Glocke gehängt, sprich publiziert haben. Sie haben sich getraut, in Innsbruck die Ganzkörperbestrahlung zu etablieren. Für den Laien: Der ganze Körper wird in wenigen Sitzungen innerhalb von drei Tagen mit der etwa zweieinhalb fachen tödlichen Strahlendosis belastet. Der Patient ist praktisch klinisch tot und es darf nichts schiefgehen weder bei der Bestrahlung selbst noch natürlich bei der folgenden internistischen Behandlung. Sie haben bei Null begonnen. Sie mussten besondere Lagerungshilfen erfinden und bauen lassen, ein Konzept für beide Bestrahlungsgeräte erstellen. Schließlich brauchte es eine sichere, möglichst gleichmäßig auf den gesamten Körper applizierte Strahlendosis. Selbst die Berechnung der Dosis war schwierig, weil diese Spezialbestrahlung mit den sonstigen Standardbestrahlungen nicht vergleichbar war. Sie haben sich richtig in das Problem verbissen und alles von A bis Z selbst er/gefunden und bis zur "Serien"reife entwickelt. Prof. Dr. Herbert Tilg, der aktuelle Leiter der Inneren Medizin I, der damals internistisch für diese GKB verantwortlich war, kann diese Schilderung von mir Punkt für Punkt bestätigen.
Im Rückblick, aber das ist "vergossene Milch", wenn Sie mir damals 1975 das Du-Wort angeboten hätten, dann wäre es für uns einfacher gewesen und die Synergien hätten uns noch stärker gemacht. Aber das konnten Sie nicht wissen, dass ich damals einen entgegengebrachten Vertrauensvorschuss nie missbraucht hätte. Wir haben uns zusammen gerauft, alle Dissonanzen ausgeräumt und sind im Frieden bei Ihrer Pensionierung 2004 geschieden. Privat gab es ohnedies das beste Verhältnis: Wir haben gemeinsame Skitouren gemacht und ich habe aufgrund Ihrer plastischen Schilderungen Ihrer Skiabenteuer Feuer gefangen und 1980 selber mit dem Skitourengehen angefangen. Ich durfte sogar mit meiner Frau 1975 bei Ihrer Hochzeit in Trins dabei sein.
Ich bin ein gläubiger Mensch und gerade bei Ihnen wünsche ich mir, dass wir irgendwo in einer anderen Welt uns vieles von der Seele reden können, das im Berufsleben zu kurz gekommen ist. Genau in diesem Sinn R. I. P. Ihr Hans Kamleitner
Ihrer Familie, Angehörigen und Freunden meine aufrichtige Anteilnahme!
13.01.2025 16:14 - Hans Kamleitner